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Bloß weg in die Natur! (Zum Bilder einfügen sind wir nicht gekommen, an unserem Ankerplatz gibt es kein WLAN...)

 

 

 Hier wird es langsam Herbst, die Nächte wieder kühler, so um die 20 Grad im Mondschatten, der, dieweil auf der südlichen Halbkugel im Abnehmen begriffen so ausschaut wie  bei Euch im Zunehmen. Jenseits dessen können wir aber auch von hier verhülfe eines Zeizes alle möglichen Landschaften, Gesichter, Mondschafe auf der Oberfläche deutlich erkennen.

Hier, das ist derzeit Parati, und nun sagt bloß ihr wisst nicht wo das ist!

Recht genau zwischen Rio  und Sao Paulo ist eine tiefe und weit eingeschnittene Bucht von 60 Km Ausdehnung gelegen, die gegenüber dem Atlantik durch eine langgestreckte Insel abgegrenzt wird , die Ilha Grande. Fast unberührte Natur, mit Regenwald und Mangroven bis zum Ufer, dessen feine Strände in den Einschnitten der Gebirgsketten liegen. Abends und Morgens  vor Anker sind die Brüllaffen dabei ein unüberhörbares Konzert zu geben,  und tagsüber kommen dann Ausflugsboote um bleiche, meist übergewichtige Großstädter  an einige der Strände zu entlassen, von wo aus die Abenteuer begierigen einige  - wenige- Kilometer über Urwaldpfade zur nächsten Bucht marschieren, wo sie dann,  übersät mit Mückenstichen   in der Mittagssonne die Blässe der Haut  in ein Krebsrot umwandeln, ein Souvenir, haltbar für wenigstens eine Woche.

Brasilien soll ja das Land der Schönen sein. Die Leute hier sind prächtig im Futter und was Schönheit angeht so richtig Weltdurchschnittsklasse. Klar da gibt es an den Stränden einige so richtig knackige Hintern, angetan in ein geringes, doch das sind die Ausnahmen auf denen das erholungsbedürftige Auge umso aufmerksamer  verweilt

 Helga hat sich  an der Copa Cobana einen richtigen Frust gefangen; hieß es doch, dass dort die Männer, diese brasilianischen Latinos, in knappen Tangas ihre Skulptur gleiche Schönheit darböten. Stimmt aber nicht! Die internationale Bademode  hat auch hier  die Männerärsche eingehüllt in knielange Boxershorts, manchmal noch mit einer Unterhose darunter, damit die Shorts, über den halben Hintern nach unten gezogen, den Schritt zwischen die Knie verlegt, ein Massenmord an der Ästhetik.

Rio war für uns eine Enttäuschung. Die bildhaft kraftvolle Beschreibung Rios , die Stefan  Zweig  geschrieben hatte, die privilegierte Lage der Stadt an der weiten, gut geschützten Bucht , die in die Stadt hineinziehenden  Berge, all dies lässt Schönheit  erahnen. Doch realiter werden 90% der Abwässer der über 16 Mio. Menschen ungeklärt in die Bucht entleert, diese zu  einer Kloake degradiert in der dennoch geangelt wird und Muscheln für die Restaurants gezüchtet werden. Die brasilianische Freude an Hochhäusern und Automobilen  hat alte Stadtteile zerstört und sie den Plattenbauten und Stadtautobahnen geopfert, eine sinnlose Gabe an die Mobilität, da der Verkehr sich dennoch meist staut. In Sao Paulo soll es noch schlimmer sein, dort fliegen Menschen die es sich leisten können mit Hubschraubern von einem Büro zum anderen, die Stadt mit den meisten Helis in der Welt…Und von der brasilianischen Lebensleichtigkeit, die uns beschrieben wurde ist nichts zu verspüren. Eilige gestresste Menschen in den Straßenschluchten, wenig Lächeln, eher Gleichgültigkeit bis hin zum Missmut in der Mimik. Dabei jedoch nicht unfreundlich bei direkter Ansprache . Es mag sein, dass sich die Reize Rios dem intensiv forschenden erschließen, die Reiseführer sind voll des Lobes und Auflistung der Sehenswürdigkeiten ist lang. Doch wir sind bald geflüchtet, dem Lärm, dem Gestank, dem Gedränge, der bedrückenden Monotonie der Hochhausbauten ausgewichen. Denn das was   uns schön und erlebenswert erscheint ist im Wesentlichen die Natur, die hier um viele Nuancen anders, farbig und verschwenderisch ist. Und mit dem Schiff können wir weit ab von Straßen an den schönsten Stellen der Küste und der Flüsse ankern, auch wenn diese Plätze, bedingt durch die Nähe der Großstädte  von Ausflugsbooten aufgesucht werden.

Die Boote sind sehr formenreich, hier entfaltet sich Phantasie. Die größeren sind den türkischen Gülets ähnlich, traditionelle Rumpfformen aufgepeppt mit Segelromantik ohne Segel; auch dies ist ein fast weltweiter Brauch der Phantasie der Gäste eine kurzweilige Vorlage zu bescheren. Andere, kleinere weisen sich als „Love-boats“ aus, rote Plastikkissen in Herzform inklusive.

Parati liegt im Scheitelpunkt einer fjordartig tief eingeschnittenen Bucht, umsäumt von Bergen und Hügeln. Wir kommen uns vor wie auf einem Alpensee. Nur hat das Wasser freundliche 24Grad, Palmen wachsen am Strand und an den felsigen Abschnitten des Ufers können wir beim Schnorcheln bunte Fische beobachten, neben Schildkröten schwimmen, ein Tropenaquarium mit Korallen.  Und nur die Natur ist es noch die den Unterschied zwischen den einzelnen Regionen ausmacht, sich mit unterschiedlichen Landschaften und Biotopen zeigt, da hat der Mensch noch alles soweit egalisiert wie in der Gastronomie, moderner Architektur, Kommunikation oder dem Verkehr.

 

Derzeit in der Osterwoche sind an fast allen schönen Plätzen Menschen, die meisten jedoch nur für wenige Stunden am Tag. Der Großraum Rio/ Sao Paulo hat über 50 Mio. Einwohner und obwohl die Schere zwischen arm und reich hier weiter auseinander klafft als irgend wo sonst auf der Welt gibt es unter diesen vielen Menschen zahlreiche Familien, die Urlaub machen, Boote besitzen, Strandvillen bewohnen und deren Lebensweise sich nicht erkennbar von europäischen oder nordamerikanischen Mittelstandverhaltens unterscheidet.  Der ausländische Tourismus spielt fast keine Rolle, was sich auch bemerkbar macht durch die nur selten vorhandenen englischen Sprachkenntnisse.

Das Land ist sich anscheinend selber genug. Auch wirtschaftlich ist es stark, Bodenschätze, Landwirtschaft, Industrie; billige Arbeitskräfte, alles ist vorhanden und wird genutzt. Und so ist es nicht verwunderlich, dass der Wechselkurs des Reals zum Euro  innerhalb von zwei Jahren von 1€ =4 Real auf 1€0=2 Real  mutierte, was für uns dieses Land überraschend teuer macht. Da  wir jedoch außer Lebensmitteln fast nichts einkaufen müssen kommen wir schon klar, an Land zu reisen mit Bussen, Fliegern und Hotels buchen wäre uns über längere Zeit nicht möglich. Arme Rentner, ihr wisst schon!

Unter den Seglern gibt es viele Franzosen aber auch Deutsche und Südafrikaner. Die anderen Nationen haben Seltenheitswert, US Amerikaner haben wir noch gar nicht getroffen. Die Gruppe dieser Fahrtensegler ist recht klein, Brasilien liegt etwas ab von der üblichen Route: Kanaren, Karibik, Panama, Südsee. Wer hierher kommt hat sich Zeit genommen und sich dem Stress entzogen eine Weltumsegelung in drei Jahren machen zu wollen, stur dem Passatgürtel folgend. Freundliche Leute sind es die wir so treffen. Ruhige Menschen, meist humorvoll, ihre Neugier eingehüllt in Zurückhaltung, Menschen die gerne lachen und ihre Sinne offen gehalten haben. Keine Abenteurer, so wie es häufig in den Segelmagazinen steht, die tollen Burschen, die den Ozeanen trotzen. Hier sucht

keiner die Gefahr, eher Freude und ein friedliches Zusammenleben mit der Natur, alles recht unspektakulär, durchzogen mit den täglichen Sorgen und Mühen wegen Reparaturen, Leckagen, defekter Motoren , eine Reiseverzögerung wegen einer Verletzung , all den Dingen die Bestandteil dieser Art des Alltages sind.

Während im Mittelmeer die pensionierten Fahrtensegler weit überwiegen sind hier auch viele jüngere unterwegs, die sich für einige Jahre – bei sparsamen Leben- die Mittel für eine weite Segelreise zusammengespart haben, die nicht mit ihren Träumen auf eine Pension warten wollen, die sie möglicherweise eh nie bekommen werden. So auch Susie und Tom, die sich vor einigen Jahren in Berlin einen Wharram 35 Fuß Katamaran gekauft haben, den herrichteten und mit einem Dschunkenrigg an zwei parallelen Masten ausstatteten. Dann ging es über die Kanäle an die Ostsee, Cuxhaven, Nordsee, Kanaren, Gambia, Cap Verden und rüber nach Brasilien, seit knapp zwei Jahren sind sie unterwegs. Bis runter nach Buenos Aires  sind sie gesegelt, doch der Winter kommt vom Süden die Küste hinauf und so ist der wärmere Norden angesagt.

In den letzten drei Wochen haben wir immer wieder eine französische Segelyacht getroffen, die wie wir langsam Richtung Süden reisen, nur müssen sie in sechs Wochen in Montevideo sein weil die Frau vion Serge, dem Eigner dort zusteigen wird. Serge klinkt sich gerade aus dem Berufsleben aus; er war als Chemiker recht erfolgreich und hat zusammen mit einem ärztlichen Kollegen Impfstoffe entwickelt, ein Patent steht noch aus, wenn das klappt, meint er, braucht er sich finanziell keine Sorgen mehr zu machen. Sein Schiff, die Asta Luego , hat er selber gebaut, alles handwerklich perfekt. Ein schnelles Schiff , wo wir mit 5 Knoten Fahrt unterwegs sind reist er mit  acht Knoten, nur vor Anker ist er auch nicht schneller als wir und der Fahrtensegler ankert mindestens viermal länger als  dass er segelt. Mit seinem roten Rumpf und den 55 Fuß Länge hat er ein elegantes Schiff auf das Wasser gebracht.

Gegenseitige Einladungen an Bord sind üblich und so ergeben sich doch einige freundschaftliche Kontakte, weit mehr als wir es aus dem Mittelmeer her kennen, wo die Leute einfach zu zahlreich sind eine gewisse Massenanonymität entsteht.

Die Kontakte nach Europa werden weniger. Wir sind durchaus neugierig, wie der Alltag von Freunden und Verwandten ist, nur die Lust  am Schreiben scheint gering zu sein und die Welten  zu unterschiedlich, als dass sie gedanklich in Beziehung treten könnten, um so willkommener sind die unkomplizierten und dennoch vielschichtigen neuen Kontakte und Freunde, die wir an den schönsten Ankerplätzen kennenlernen.