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Verehrung der Spenglermeister

Meine genaue Position 18°45‘ S 25°59‘ W –also im Südlichen Passagürtel des Atlantischen Ozean - -800 NM vor der Küste Brasiliens. 25 Tage sind wir schon unterwegs zwischen Wind und Wellen, wir sehen und spüren Luft und Wasser und das Licht der Sonne, des Mondes und Millionen Sterne. Unser Zuhause –  ein Katamaran, die Twiga – rauscht seit Tagen ohne unserer Mühe eines Segelwechsels wie auf Schienen mit 6 Knoten Fahrt den südlichen Passatgürtel entlang.  Wir sind fasziniert von der Abwechslung  und dem Farbenspiel, das Luft, Wasser und Licht bieten. Begrenzt der Ozean den Himmel oder ist es umgekehrt? Unser Blickfeld eine blaue Scheibe aus bewegtem Wasser, darüber ein Himmelszelt auf dem je nach Uhrzeit und Blickwinkel unterschiedliche Wolkenformationen, Sonne, Mond und Sterne zu sehen sind. Der Ozean, dessen Struktur und Farben sich durch Wind und Licht ständig verändern, erregt die Sinne – welch ein Jubel! Blau ist der Ozean, ultramarinblau, tintenblau, türkisblau, violettblau, graublau, schwarzblau und dann wieder changierend silbern, wie Rheinzink blaugrau, dann wieder wie Rheinzink schiefergrau und wenn der Mond sein Licht drauf wirft wie Rheinzink walzblank.

So mitten auf dem Atlantik bei der Tag- und Nachtwache unseres Segeltörns ist der Freiraum zum Denken riesengroß, Gedanken haben darin viel Platz zum Schweifen, ohne dass sie von irgendjemanden, irgendetwas abgelenkt oder geblendet werden können. In diesem Freiraum zieht mein Leben, Begegnungen, Erfahrungen vorbei, ganz sanft berührt mich dies wie auch der Wind meine Haut berührt.

Wenn ich so über den Atlantik schaue, scheint es, als wäre er mit Rheinzink blaugrau sehr sorgfältig gedeckt, fallen mir die vielen schönen Gebäude ein über die ich die letzten 17 Jahren geschrieben habe, die interessanten Erzählungen der Bauherrn , die vielfältige Aufgabe der Architekten und die großartigen Persönlichkeiten der Spenglermeister, deren handwerkliches Geschick, deren kluge Überlegungen, deren ganzheitliche Sicht, deren verantwortungsvoller Umgang mit Material und Menschen mich bei jedem Interview aufs Neue begeisterte. Deshalb hat es mich auch in einer Zeit, in der die ganze Welt in einem Kanon die Wirtschaftskrise bejammerte besonders gefreut, dass ich bei keinem Interview eines Spenglers ein Klagen hörte. Die Familienbetriebe der Spenglerunternehmen haben seit Generationen auf ihre eigene Kraft gebaut, im Geiste wie auch im Geld. Der sorgfältige Umgang mit Materialien und Menschen ist seit Generationen selbstverständlich für Spenglerunternehmer. Sie selbst waren einmal als Lehrlinge auf dem Dach, kennen die Anforderungen und Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter vom eigenen Erleben. Sie sind Handwerker, wollen Dinge herstellen, die Bestand haben für Generationen. Sie lieben die Arbeit des Gestaltens, das Metall, das sich durch ihr Wissen und ihre Kraft formen lässt. Sie lieben ihre Arbeit, die ihnen die Möglichkeit gibt, Träume eines geschützten Eigenheimes zu verwirklichen. Alle Unternehmer berichteten mir wie tüchtig ihre Mitarbeiter sind, wie Stolz das ganze Team über die getane Arbeit. Die Beratung der Kunden, die enge Zusammenarbeit mit den Architekten macht Freude und motiviert sie. Bauherren und Architekten kommen immer wieder mit neuen bemerkenswerten Vorstellungen und Wünschen, ihre Gebäude zu gestalten und zu schützen, deren Umsetzung immer wieder eine Herausforderung für den Handwerker ist. Die Zusammenarbeit mit Bauherrn und Architekten wirkt sich auf vielen Ebenen als bereichernd aus, auch wenn am Ende der Baustelle der Kostenrechner sagt: „Nun, reich sind wir mit diesem Objekt nicht geworden“. Über einige der vielen Zeitzeugen der Architektur und der Kunst des Spenglerhandwerks habe ich in den letzten Jahren Geschichten geschrieben, dies macht mir Freude.

Durch meine Arbeit habe ich die Möglichkeit viele Gebäude und Architektur näher zu betrachten. Worin liegt der Unterschied zwischen den Begriffen Gebäude und Architektur? Ist jeder Entwurf aus der Hand eines Architekten Architektur? Sind all die Fertigteilhäuser, Plattenbauten, Wohnsilos, politische Prachtbauten, modernen Schachteln der Architektur? Ich definiere den Begriff Architektur so: Architektur verbindet Harmonie, Schönheit und Funktionalität. Architektur drückt sich durch Formen, Verbindungen und durch die Wahl der Materialien aus. Architektur ist individuell mit dem Fokus auf Langlebigkeit den Wünschen und Bedürfnissen der Nutzer und dem Standort maßgeschneidert. Architektur ist eingebunden in das Leben, kein Monument, das nur beeindrucken soll. Gut manchmal wünschen auch Nutzer Monumente, die beeindrucken sollen. Nun jeder Architekt setzt bei seiner Definition von Architektur individuelle Schwerpunkte.Zeige mir wie du lebst und ich kann sehen wie du bist – so sagt doch ein altes Sprichwort.

Meine Verehrung  der Spenglermeister kommt auch aus dieser Ecke. Ich hatte die Möglichkeit, einige Wohnhäuser zu sehen und diese haben mich sehr beeindruckt. Jedes für sich hat eine Seele, ist individuell auf die derzeitige Lebenssituation der Bewohner mit einem Blick auf die Zukunft gerichtet. Jedes Wohnhaus ist ein Ausdruck von Lebensfreude und Genuss, umgesetzt durch Harmonie von Schönheit und Funktionalität, kein protziges zur Schau stellen, kein angepasster Zeitgeschmack – diese Wohnhäuser sind ein Ausdruck freudigen, sinnlichen und achtungsvollen Lebens.

Der Fokus auf die Wichtigkeit des Augenblicks, das Einbinden der Vergangenheit mit dem neuen für die Zukunft gebauten Zuhause: Diese Tafel habe ich im Garten eines Spenglermeisters gesehen, sie ist  befestigt auf einer alten Ziegelmauer, die als Begrenzung und Sichtschutz dient, gleichzeitig ein Element der Gestaltung des eigenen Lebensraumes ist.