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vergoldete Armut, Max Bruch und der Wasserfall, Tarzan und Archive...

Max Bruch, Violinenkonzert N0 26, die Fingerspitzen hüpfen, gleiten, die Hand schreibt einen Bogen auf die Haut, eine Spur bleibt zurück: Musik, Schwung, Berührung verwandelt in ein wohlige Gänsehaut. In einer Pianopassage erreicht uns das Plätschern des kleinen Wasserfalls hundert Meter entfernt  mit dem sich ein Bach in den Meeresarm ergießt. Das Gleiten, der Fluss der Musik, wie das Wasser, Ebbe, die Flut. Sich spannende Bögen, Fokussierungen, Erweiterungen, ein pulsierendes Musikvolumen, den Lichtwechsel des Sonnenunterganges lautmalend.

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 Das Konzert als Ergänzung zu der Natur dieses entlegenen südlichen Bereiches der Bahia de Todos os Santos, vor Anker am Westufer der Ilha de Matarandiba, deren kleiner Berg, der Monte de  Santo Amaro   sein Wasser über einen Bach und den kleinen Wasserfall in das Meer laufen lässt. Manchmal tosend, die rundgewaschenen Steine zeugen davon, doch heute als weicher musikalisch erklingender Schauer.

Der zweite Satz des Konzertes, die Anspannung in der Ruhe des Cellos, die Übernahme der Melodie von der Geige, das Weiterreichen an das Orchester abgemalt von den Regenbogen, die hier in der Bucht  den steten Wechsel

zwischen Regenschaueren und Sonne begleiten.

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Nachts, die Sterne sind verschwunden, prasselndes Trommeln des Regens auf dem Kajütdach,  der Ebbstrom sendet platschende kleine Wellen gegen die Rümpfe, das Boot dreht sanft. Am Ufer der Bucht vereinzelt Lichter eines Dorfes. Lauschen, spüren, zuhören, tasten nach den Rundungen ihrer Hüften und Beine, ein etwas schnaubendes Ausatmen, lautgemaltes Gefühl von Glück, die Nacht überdauernd, in den Tag überleitend.

Ein sonniger Tag. Die morgendliche Ebbe hat einen Strand vor dem Wasserfall

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wachsen lassen, davor bildet weicher, grauer Schlamm die Übergangswelt zum Wasser. Zahllose kleine Winkerkrabben laufen vor uns im Sand, schlüpfen in ihre Löcher, ihre Spuren haben den fast weißen Strand mit einem dichten Wegenetz überzogen. Handtellergroße Krebse mit leuchtend roten Scheren eilen zu den Felsen zwischen denen sie hausen. Der kleine Wasserfall spült sich ein Loch in den Sand bis zum Felsgrund. Frisch ist das Wasser, schmeckt wie Mineralwasser

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und fühlt sich weich auf der Haut an, als es die erinnernden Düfte des morgendlichen Erwachens, der liebevollen Begrüßung abspült.

Ein Ort zum Verweilen. Und doch kommen an diesem Wochenende einige Boote, ja sogar eine größere Gruppe von Jetskifahrern hierher , bleiben für wenige Minuten, ziehen weiter, hinterlassen uns die Mangroven, den Wald und Strand, bis auch dieser wieder von der Flut überdeckt wird.

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Leise sind sie gekommen die Jetskifahrer, darunter weißhaarige  Herren, alle mit weißen langärmeligen T-Shirts, trendigen Schwimmwesten und bunten Fahrzeugen, wohlerzogene  Easy Rider zwischen Rente und Arbeit  auf dem Wasser in Brasilien.


 

Sonntags in der kleinen Stadt…

 

Schöner Segelwind, fünfundzwanzig Meilen genusssegeln. Schade, dass die Bahia in diese Richtung nicht noch länger ist.

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 Keine Yachten, keine Motorboote sind unterwegs nur drei Frachtensegler sehen wir auf dem Weg vom Wasserfall vorbei an Itaparika zu unserem nächsten Ankerplatz. In weiter Entfernung, diesig verhangen steht die Hochhaus Silhouette von Salvador de Bahia, die wir vor einigen Tagen passierten, als wir von Süden kommend in die Bahia einliefen.

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Kakerlaken huschen dicht an dicht über die Mauer. Einbäume, Motorboote dümpeln in dem ansteigenden Wasser, ein schlammiger Slip führt in das Dorf auf der „Ilha de bom Jesu“. Die Mauer bietet den einzigen Anlegeplatz hier an

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der Südseite der Insel, im Norden gibt es eine Fähranleger, doch die dortigen Natriumdampflampen verdrängen die Nacht, verhüllen die Sterne mit ihrem herrschsüchtigen gelben Leuchten. Die gesamte Insel wird von dem Dorf besiedelt, enge Gassen, meist ungepflastert, kleinen Häusern, bunt angestrichen, zwischen denen immer wieder Fassaden  aus dem Jugendstil und Klassizismus auf die wechselhafte Geschichte dieser Gegend hinweisen. Zwei Dorfplätze, eine Kirche, einige Straßenkneipen, es ist Sonntagabend, die Menschen sehen fröhlich und zufrieden aus. Alle Altersstufen sind hier anzutreffen. Die Leute sind nicht wirklich wohlhabend, deutlich daran zu erkennen, dass die Männer muskulös und schlank sind während die Frauen zum Teil üppige Formen hauteng umkleidet zeigen.

Am Ankerplatz. Gegenüber  wird ein Frachtensegler, etwa 15 Meter lang fertig gemacht, rotbraune Segel, die Gaffel

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wird an einem frei stehendem Mast, gefertigt aus einem  -fast – geraden schlanken Baumstamm samt Segel hochgezogen, eine kleine Fock gesetzt, die allerdings nur zur Wende gebraucht wird, um backstehend das Schiff durch den Wind zu drücken. Über eine Maschine verfügt das Schiff nicht, ebenso wenig wie die anderen noch recht zahlreichen Frachtensegler hier auf der Bahia dos Todos Santos. Der Segler muss in dem engen Fahrwasser aufkreuzen, die zwei Mann Besatzung  erledigen ihre Arbeit mit Ruhe und eingespieltem Geschick.


Armut in Gold und Farben gehüllt

Kopfsteinpflaster, eine enge Gasse. Fassaden von Häusern aus dem 19. Jh. werden mit Stahlträgern abgestützt, im Inneren Luftraum, Trümmerfelder,

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Bäume.  Verwitterte Plakate offerieren den Verkauf oder  künden von dem Willen der Stadtverwaltung Altes zu bewahren und wieder zu beleben.

Wunderschöne Häuser gibt es in der Altstadt von Salvador de Bahia, zeugen von reichen Handelsherren, gutsituierten Bürger, Fabrikherren. Kakao, Kaffee, Sklaven, Zucker, Tabak, Walöl, alles wurde im ausgehenden 19. Jh. geerntet, gehandelt, produziert und auch weiter verarbeitet. Ein reiches Land und Bahia ist für lange Zeit die größte seiner Städte, Zentrum des Kommerzes, der Seefahrt, der Religion, der Kunst, der Wissenschaften. Um 1860 sah die Stadt von der See aus  wie andere reiche, große Städte in Europa.

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Bis zum ersten Weltkrieg wurde gebaut, mit allen möglichen Baustilen, wie es dem Bauherren eben gefiel, strenger Jugendstil, überquellender Barock, Klassizismus, alles ist zu finden. Die Mauern der Häuser, die als Ruinen ihre Bausubstanz präsentieren, zeigen jedoch recht dünne Wände, einfachste Fensterstürze, Dachstühle in

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Leichtbauweise. Ohne regelmäßige Pflege verfällt so etwas eben genau so schnell wie es erbaut wurde, egal wie prächtig die Fassade gestaltet wurde. Das Bürgertum verließ die Altstadt im 20.Jh. die Häuser verfielen, die Armen zogen ein. In den fünfziger Jahren sagten lästerliche Zungen, der große Lift  von Lacerda,  der von der Unterstadt in die Oberstadt führt,  fahre direkt hinauf in die Hölle. 

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Wiewohl dem Verfall anheim gegeben blieben dennoch viele Häuser erhalten, keine Abrissbirne planierte die vergangene bröckelnde Pracht, kein moderner Architekt ließ seellenlose Hochhäuser an ihrer Stelle wachsen.  In den achtziger Jahren hat dann die Unesco den Wiederaufbau der Altstadt  mit reichlich Geld gefördert, einiges davon muss sogar an die richtigen Stellen gekommen sein, denn Teile von Pelourinho, der Altstadt sind restauriert, der Stadtteil ist Touristenattraktion, Künstler, Kunsthandwerk, Gastronomie beleben die Gassen dicht neben anderen Straßen von deren Betreten dem Fremden nach wie vor abgeraten wird.

Auf so einer Gasse werden wir herzlich begrüßt von Antonio, der meint uns zu kennen, Küsschen hier, Umarmung dort,  - wer ist das? -  Er dirigiert uns in  sein Haus, helle, hohe Räume, mit seinen Bildern an der Wand, ein farbenfrohes Ensemble, seine Frau will gearde ausgehen, sie muss in die Klinik zur Dialyse. Auch hier Umarmung, Küsschen, dann ist sie weg. Antonio führt uns herum, seine  Bilder bestimmen das Ambiente, die Fenster werden mit Fensterläden geschlossen, kein Glas behindert den Luftaustausch. Im Hinterhof liegt sein kleiner Garten in dem er mit Begeisterung Heilkräuter, Gemüse und Obst zieht. Und mit großer Begeisterung zeigt er uns einen Tennisschläger aus Plastik, dessen Bespannung aus feinen Drähten besteht, die unter Hochspannung Insekten mit einem kurzen knall und Blitz töten. Damit geht er auf Jagd  am meisten Beute macht er in der Dusche und dem WC. Die Opfer, nein die Trophäen dieser wundersam-archaischen Jagdleidenschaft finden sich dann in einem  sauberen Marmeladenglas wieder, ja dies seien die Dengue übertragenden Moskitos, davon könne man gar nicht genug töten… und zur Demonstration  folgt ein fixer Rückhandschlag, ein kleiner Knall und im Blitz verendet wieder einer der schwirrenden Feinde. Und wegen der Sicherheit, er wird eindringlich, hier in dieser Straße ginge es ja noch, jedoch weiterr unten ( da wo wir herkamen) sei es gefährlich, No-Go-Area für Fremde. Wir hatten dort allerdings nur freundliche und nette Menschen gesehen, vielleicht trügt ja der Schein.

Wir wollen weiter, später sehen wir ihn noch mal im Touristenviertel er kommt gerade aus seiner Galerie. Hier in diesem Bereich gibt es wunderschön restaurierte Häuser neben verfallenen, ein pulsierendes freundliches Leben.

Ein dunkler Gang zweigt von der Gasse ab, Bilder an der Wand und der Maler spricht Deutsch, 1972 war Silvio als Kunststudent für vier Jahre in Frankfurt. In seinem Atelier liegen auch Musikinstrumente, also musizieeren wir gemeinsam für eine halbe Stunde bevor wir weitergehen. Auch in weiteren Ateliers und Galerien werden wir freundlich begrüßt, dass wir nichts kaufen wollen, stört nicht, unser Interesse an der Arbeit der Künstler, unsere Freude an der lebhaften, frohen Farbgebeung freut sie. Die Grenzen zwischen Kunst und Kitsch sind hier fließend, selbst einzelne Maler stellen sowohl Kitsch als auch Kunst her, Kitsch verkauft sich auch hiier offensichtlich leichter, zumindest im Straßenverkauf.

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Am Largo do Pelourinho, einem abschüssigendreieckigem  Platz umsäumt von Häusern des 19. Jh. steht das städtische Museum , Restaurants,  und dem Jorge Amado Museum. Neunzig Jahre ist der Schriftsteller geworden, tl_files/twiga_inhalt/brasilien 2011/10 gi, Gamboa itaparika/is (205).JPG

Sohn eines Kakao Barons, dessen detailreiche und unterhaltsame Romane das brasilianische Leben widerspiegeln. Nur wenig Aufsehen erregten seine ersten eher aufklärerisch politischen Romane. Seinen Erfolg erzielte etwas später in der thematischen Verknüpfung von Sex, Komödie und guter Küche. Gegenüber liegt die Kochschule im Gastronomiemuseum, richtig lecker ist das Buffet mit ca 15€ pro Person  nicht ganz billig aber eben zum Überfuttern gut. Eine aufmerksam freundliche Athmosphäre, die Mädels gekleidet in Bahianischer Tracht, bunte Röcke, die Kopftücher aus gleichem Stoff jede individuell anders.

 Das städtische Museum ist nett gemacht, jedoch bieten die Antiquitäten- und Trödlerläden in der weiteren  - ja der ach so gefährlichen Gassen -  Umgebung mehr Anschauungsnamaterial zum früheren Leben der Stadt  lebensfrohes  gibt hier im Museum zu sehen, Karnevalskostüme und moderne Malerei  mit farbenfrohen und liebesträumenden Motiven.

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Oh heilige Franziskus, Du der Du die Armut zur obersten Tugend erklärtest! Mit welch goldener Pracht  ist nun diese Dir geweihte Kirche, ausgestattet! So reichlich, dass das von Prunk ermüdete Auge Erholung findend wohlgefällig auf etwas abblätternder weißer Farbe in einem dunklem Winkel verweilt.

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Die Franziskaner Kathedrale schenke den Lebenden den Himmel auf Erden hören wir von einer Reiseleiterin, die eine Gruppe deutscher Bildungsreisender belehrt. Ein Schnupperbesuch im barocken Paradies, wenn wir dieses nach unserem Tode nicht wiederfinden, nun, so wissen wir zumindest, dass es diesen Himmel gibt, dass wir nur irgendwo gefehlt hatten, als Sünder unsere Zeit mit den anderen Mitmenschen in weniger Pracht aussitzen müssen.

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Die   Engel, die Säulenträger, der prunkvoller Bibelhalter ausgeführt als dralle Nixe, der Himmel muss bei den Franziskanern voller Fleischeslust, mit drallen Brüsten und rundlichen Knaben ausgestattet sein, da kann man sich über die geforderte Enthaltsamkeit im Diesseits schon mal hinwegtrösten. Dieser fröhlich sinnliche Kolonialbarock bewirkt, hat man das Gold erst mal zur Norm der Wanddekoration gemacht,  ein Lächeln, in dem sich Hoffnungen und Erinnerungen freudig ausdrücken. Die Heiligen, die ja unsere Wünsche zum Herrgott transportieren sollen, stehen  eher als Nebenrolle weiter entfernt in Nischen , etwas dunkel, alle langgewandet, fast schon Fremdkörper in ihrer erhabenen, befremdlichen Ernsthaftigkeit.

Das Kloster hat auch einen berühmten Kreuzgang( 18. Jh.), rundum gefließt in blauen Delfter Kacheln, mit Motiven aus dem Buch „moralisches Theater des menschlichen Lebens“. Auch hier findet sich Schnurriges an den Wänden.

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Von der Natur sollen wir lernen und die Natur wird dargestellt als Frau mit vier Brüsten, sie unterrichtet dralle nackte Engel, die liebevolle Betrachtung der Knaben vereint mit der unerreichbaren nahrhaften Überhöhung der Frau  auf Kacheln gebrannt. Und natürlich auch etwas über den Tod, über die Eifersucht – sie endet angeblich mit dem Tod- und über die Verschwendungssucht:

der „goldene Mittelweg“

ja dies ist wörtlich zitiert!,  wird gepriesen: Auf dem Tablett hält die tugendhafte Frau, eine Brust bedeckt, die andere frei, das Geld, die Knauserige im vollen Sack mit strengem, etwas bösem Blick und straff verhüllt- abweisendem  Körper, die Verschwenderin mit wehendem Tuch als Gewandt, die Brüste frei, eine Hüfte darbietend, das Geld über den Kopf werfend, durch die Finger rieseln lassend. Drei Grazien : Langeweile, Gefangenheit und Lebenslust.

Es scheint eher  Absicht zu sein , dass die Tugendhaftigkeit, die religiöse Strenge von den Künstlern  mit mehr als nur einem Augenzwinkern der Fadheit zugeordnet wird, die Freude  und Lebenslust – ohne jede Boshaftigkeit – eher auf der Seite der Verschwendung, der Hingabe, der Sinnlichkeit  liegt.

 Warum auf das Ticket für den Barockhimmel warten???

Heute ist Heute.

Bahia, Brasilien.


 

Lastwagenabdecker, Tarzan und Archive

Ein hohes Gerüst mit zwei Arbeitsplattformen steht neben  dem Lagerhaus. Zwei Männer sitzen oben auf der Verstrebung, jeder auf seiner eigenen  Plattform,  schauen über das Hafenwasser , kein Schiff an der Pier, die Gleise auf denen die Kräne fuhren sind längst verbogen, gefüllt mit Sand, etwas Grünzeug wächst heraus, das Kopfsteinpflaster  hat Unterspülungen und Schlaglöcher. Ein alter Lastwagen kommt heran, parkt an der Pier.

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Für Massengut eingerichtet verfügt er einen Kippkontainer, in dessen seitlichen Versteifungen zarte Gräser wachsen. Ein anderer Laster kommt aus der Lagerhalle heraus, beladen mit Gelb schimmernden  Weizen, er muss noch recht feucht sein kein Staub überschwebt die Ladefläche. Der Wagen fährt zwischen die Plattformen, die Männer unterbrechen die kontemplative Betrachtung der Hafenszenerie. Tauben kommen von den umgebenden Dächern, umschwirren die Szene. Eine grau-schwarze Plane liegt auf dem Fahrerhaus, die Männer greifen sie und decken die Ladung damit ab und verzurren sie  mit Gummistropps. Der Laster brummelt los, unregelmäßig vibrierend,  der leere Wagen kommt von der Pier, wird abgedeckt und verschwindet in der Halle. Eine Stunde lang beobachten wir dieses Schauspiel am Hafen von Salvador de Bahia, drei Lastwagen werden abgefertigt in dieser Zeit, die Beiden haben einen Beruf mit besten Aussichten…

Nun, wir sind an diesem Orte um auf die Öffnung des Büros der Policia Federal zu warten, denn wir sind gerade wieder in Brasilien eingereist und brauchen, der guten Ordnung halber, Stempel und  Bescheinigungen. Eine Stunde tl_files/twiga_inhalt/brasilien 2011/10 gi, Gamboa itaparika/is (187).JPGzu früh sind wir gekommen, doch zwei brasilianische Segler warten auch schon. Das Büro, klein, unscheinbar ist neben dem Zollamt – modern, dennoch heruntergekommen, bedeutend! -  untergebracht, die alten Lagerhallen, schöne Industriearchitektur aus dem Beginn des 20. Jh. schließen sich an, die meisten nicht mehr genutzt, sie geben Raum für die müßige Phantasie was man aus einem solchem Ensemble  gestalten könnte, direkt am Hafen, ein urbaner  Lebensraum mit  dem Flair des weltverbindenden Hafens.

Wir wandern an der Pier,  schauen den Tauben zu die die Weizenkörner träge aufpicken, vor unseren Schritten auffliegen, von den Dachrinnen der Lagerhäuser  aus warten, dass wir, die Eindringlinge in ihr Leben, den Zugang zu der lastwagengesandtem Nahrung wieder frei geben. Wenn diese Tiere einen Gott verehren  muss der nach Diesel riechen! Und keine einzige Möwe ist zu sehen.

Müde lassen wir uns auf einem Poller nieder, dessen Farbreste, dessen Rost  eine kunstvolle Skulptur am Hafen zur Ausstellung bringen. Seine Stärke liegt jedoch in seiner statischen Orientierung, weniger in seiner dynamischen, obwohl sein Markenname eher Dynamik ausdrückt. Tarzan, so lesen wir, trägt uns, lässt uns ruhen, die Vögel, die Männer auf dem Gerüst, den Hafen entspannt  betrachten.

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Endlich kommt sie, die Policia Federal, eine sehr streng blickende, kompakte Frau, deren Gesichtszüge aus dem  Land des Niemals- Lächelns stammen. Einlass in die Amtsstuben.  Ein enger Flur mit einer Sitzbank für Wartende, links sind die Toiletten,  ein Schild informiert dass diese nur für Amtspersonen  zugänglich seien. Die beiden Brasilianer, die vor uns dort waren, werden aufgerufen. Nein, nicht das Crewmitglied, nur der Capitano habe Zutritt  zur eigentlichen Amtsstube. Die beherrschende Stimme der Policia Federal – nie hörten wir eine Amtsstimme in diesem Lande zuvor, die so wenig Mensch, so viel Amt war! – dringt durch die Wände, der Antragsteller ?  ein Murmeln, doch schnell ist der Amtsvorgang erledigt, der Capitano erscheint, schaut uns an, ihm scheint seine Rolle in dieser Hörspieldarbietung peinlich zu sein. Ich bin der nächste, Helga muss auf der Bank ausharren, die Toilettentür vor Augen, so dicht wie Passagier  in einem Flieger vom  Vordersitz bedrängt werden.

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Die Policia Federal muss bei mir etwas raten wie denn nun die Lage des Antragstellers sei. Sie ist der eigenen Effektivität verschworen, weist mich an  wie das Formular auszufüllen sei, aus einem Fernseher kommt Musik, ABBA tönt , ich sage : schöne Musik , nicht wahr? Natürlich auf irgendwie latino geradebrecht, aber sie versteht es, schaut irritiert den Fernseher an, nimmt erst jetzt die Melodie wahr, einen kurzen Moment  war die Policia Federal  tatsächlich Mensch. Bumms, Stempel, nächster Pass!  Und wieder sind wir legal in diesem Lande, sogar das Visum ist länger als an sich zulässig…

Zum Zoll müssen wir auch noch, dort wird gerade umgebaut. Unter einem Baugerüst befindet sich ein kleines Schiebefenster, dahinter liegt die Amtsstube, klimatisiert, geschützt von den Einflüssen der Bautätigkeit; ein Sägeblatt kommt von oben herab geflogen, landet dicht neben uns, ein Zöllner, der  Zigarette rauchend ein Schwatz mit zwei Kollegen hält, hebt sie auf und trifft meisterhaft,  diese nach oben schleudernd, die Lücke in dem Schutznetz aus dem sie zuvor herab geflogen kam.

Das Schiebefenster geht auf, schnell und effizient wird unser Vorgang abgewickelt. Das Schiff wird bewertet, der Einfuhrzoll bestimmt, der allerdings zur Zahlung ausgesetzt wird, wenn wir das Schiff innert von zwei Jahren  wieder mit uns hinaus nehmen. Alle Papiere werden, wie schon bei der Policia Federal und vielen anderen brasilianischen Ämtern zuvor, kopiert und in irgendwelche Akten geordnet. Seit wir in dieses Land kamen sind unseretwegen sicherlich schon über hundert Kopien gemacht worden, Wo werden die bloß archiviert?  Im Hof beim Parkplatz finden wir dann das Archiv.

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Zur Hafenpolizei müssen wir auch noch, sie residiert in einem prachtvollen kolonialen Gebäude mitten in einem Park am Hafen. Der Park ist  zur Straße hin offen jeder kann über die Rasenfläche laufen, doch wer über den offiziellen Zuweg zum Amte will bekommt einen extra Besucherpass nachdem sein Konterfei mit einer Webcam aufgenommen und archiviert wurde. Auch in diesem Amt freundliche Effektivität, ganz anders als uns die Brasilianer im Süden den Staat Bahia geschildert hatten, dieser sei völlig marode, alles gehe nur unzuverlässig und… das Land ist eben sehr groß und die Südländer können mit den Nordländern nicht, Bayern und Preußen.