Twiganauten > REISE GESCHICHTEN > Brasilien 2011 > Gold, Kunst und tropische Regenfluten

Gold, Kunst und tropische Regenfluten, (die Bilder sind in der Galerie weiter unten).

Gold, Kunst und tropische Regenfluten

„Aquilo è para ti“ sagte Gott zum Teufel, als er die Erde aufteilte und gab ihm diesen Ort, so die Legende. Womit bewiesen ist, dass Gott entweder den Teufel doch ganz gerne mochte oder eben einen Fehler gemacht hatte, denn Parati, gegründet 1646, liegt wunderschön im Scheitelpunkt der

fjordartigen Bucht und verfügt zudem über eine Heilklima, dass den Ort schon bald berühmt werden ließ, weit bevor im 18. Jh. das Gold von

Minas Gerais nach Parati gebracht wurde um von hier aus nach Portugal verschifft zu werden.

Schon 1966 unter Denkmalschutz gestellt, ist der historische Stadtkern vollständig erhalten, keinerlei Hochhäuser, ansonsten in Brasilien ortsbeherrschend, erdrücken die kolonialen Stadthäuser oder die Einwohner die hier leben und arbeiten. Der Tourismus spielt hier natürlich eine große Rolle, jedoch in einer angenehm ruhigen Weise, die langsamere Gangart der Vergangenheit wird hier zur Gegenwart für den Besucher. Strandleben wie an der Copa Cabana gibt es hier nicht, die Ufer sind häufig schlammig, flach, mit Mangroven bewachsen; außer dem Stadtbummel werden den Touristen Bootstouren an schöne Strände und Inseln angeboten, eine große Flotte von Ausflugsbooten steht bereit und über Ostern sind sie alle unterwegs, verteilen die vielen Besucher im weiten Umkreis.

Wir liegen gegenüber von Parati vor Anker, ein kleiner Sandstrand mit einer Hütte und einer Süßwasserquelle dicht bei, und einige andere Segelyachten, wie die AORAI.

Am Ankerplatz entwickelt sich schnell ein eigenes nachbarschaftliches Leben, die Kontakte und Freundschaften entwickeln sich schnell, die Offenheit der Begegnungen ist im Vergleich zum Landleben spontaner und schneller. Wir erfahren in kurzer Zeit mehr über unsere Seglernachbarn und sie über uns als an Land üblich. Lebensläufe mit Brüchen und Hindernissen, mit Sehnsüchten, der Suche nach Wegen entfalten sich im Gespräch, ganz gerade Lebenswege führen offenkundig nicht hierher.

Am Ankerplatz der Fahrtenyachten vorbei strebt eine ganze österliche Armada von Segel- und Motorjachten Richtung Atlantik und der Ilha Grande, der Ferienausflug der heimischen Vereine und  Wassersportler, Ankerkino pur; dabei sollte man den „Sportler“ nicht allzu wörtlich nehmen, denn auch die meisten  Segler lassen, egal ob der Wind günstig ist oder nicht die Segel eingerollt. Auch die Ausflugsbote sind ausgebucht, bunte kleine Love Boats, dreimastige „Romantik“ Segler – natürlich ohne Segel – konventionelle Motoryachten, alle sind voll belegt

Die Sonne scheint, der Wind ist sanft, Feiertagstimmung, doch ein Wetterwechsel kündigt sich mit einem glutroten Farbenspektakel zum Sonnenuntergang an.

Am Ostersonntag ziehen dicke Wolken auf, schwarz hängen sie an den Bergwänden, noch scheint die Sonne über uns und Optimisten die wir sind setzen wir über und erledigen unsere Wäsche am Strand. Zurück an Bord sehen wir eine kleine gelbe Jolle mit einem einzelnen Segler, der zwischen den Yachten kreuzt und der kurz auf Deutsch mit Susie und Tom redet. Wir kommen auch mit ihm ins Gespräch, Werner, er ist ein deutschstämmiger Brasilianer, 56 Jahre alt und hat die Jolle vor 40 Jahren selber gebaut.  Er lädt mich ein mit ihm Jolle zu segeln, ein seltenes Vergnügen, das letzte Mal muss schon zehn Jahre her sein.

Quer über die Bucht, das Boot läuft mit seinen original 40 Jahre alten Segeln erstaunlich gut, eine helle Freude, zumal Wind aufkommt, denn die Wolken sinken an den Berghängen hinab, die Regenwände schieben sich immer tiefer in die Bucht hinein. Und dann fängt es an zu schütten, Petrus hat die Schleusen geöffnet, doch der Wind bleibt uns erhalten und so können wir auch den Weg zur TWIGA zurücksegeln. Ein heißer Tee mit Rum ist da genau das Richtige.

Noch ist das Wasser klar, doch aus den Bergen kommt Schlamm, Laub, Büsche und ganze Baumstämme den Rio Pereque-Acu hinunter, der Fluss schwillt an, erst kurz bevor das Wasser in die Häuser eindringen würde kommt die Flut anderntags zum Stillstand. Vier Stunden nach Regenbeginn erreichen die Ströme aus den Bergen die Bucht,  in breiter Front schiebt sich langsam eine scharf abgegrenzte Schlamm und Dreckfront durch die Bucht Richtung Atlantik. Doch was die Ströme mitgenommen haben ist alles natürlichen Ursprunges, kein Plastikmüll, keine Dosen, kein Fäkalgeruch breitet sich aus,

die Stadt mit ihren 32500 Einwohnern und noch mehr Gästen muss über ein effektives Entsorgungssystem verfügen, eine Freude nach der Kloake von Rio.

Sauberkeit hat in dieser Stadt Tradition: Die Straßen wurden so niedrig angelegt, dass bei Flut das Wasser der Bucht die gepflasterten Straßen überspült, eingeleitet durch gemauerte Fluttore und so zur Stadtreinigung beigetragen hatte. Heute gibt es jedoch ein städtisches Abwassersystem  mit Kläranlage.

Nach dem Regen war genug Wasser in der Stadt um die überspülten Straßen und die Spiegelungen der Gebäude im Wasser beobachten zu können.

Abends und nachts müssen wir das Ankergeschirr von Treibgut befreien und das Beiboot lenzen, schräg aufgehängt in der David kann dann das

Wasser in dickem Strahl aus dem Lenzloch ablaufen. Und der Regen spendiert der Twiga  eine stundenlange Süßwasserdusche.

Es regnet ausgiebig jedoch nicht andauernd, angenehme Temperaturen machen eine Stadtbesichtigung  zum stressfreien Erlebnis, die Ostergäste sind auch abgereist.

Die Regengüsse haben nicht nur die Straßen sondern  auch offene  Boote geflutet und versenkt, kein großer Schaden solange sie wie dieses hier keinen Motor haben.

 Der historische Stadtkern mit ca. einem Quadratkilometer Fläche ist kein Museum, Geschäfte, Ateliers, Restaurants,  sorgen für ein buntes Leben, natürlich weitgehend dem Tourismus verhaftet, aber sehr unaufdringlich. Die alte Bausubstanz ist schön im Schuss, der wirtschaftliche Niedergang des Ortes Ende des 19.Jh verhinderte die Überbauung der alten Substanz mit neuem. Der Niedergang wurde bewirkt durch die Veränderung der Seefahrt, die neuen großen Schiffe konnten den Hafen nicht mehr anlaufen, weil die Bucht zu flach ist. Höchstens drei Meter Tiefgang sind möglich, kein Maß mit dem man heute Gewinne einfahren kann. Und so sind die Häuser vom Abriss verschont geblieben, später, als wieder restauriert wurde, war noch reichlich Substanz vorhanden.

Nur wenige Orte in Brasilien verfügen über einen solchen historischen Reichtum, der uns Europäern  doch so vertraut entgegen kommt.

Wie auch an anderen Orten Brasiliens ist die Wirtschaftsgeschichte  Paratis wechselhaft. Kurort, dann Goldverladeplatz, schwerbefestigt, noch heute

finden sich zahlreiche Kanonen auf den umliegenden Hügeln, keiner restauriert oder stellt sie auf sie wie hier vor der Kirche, sie liegen einfach als Altmetall im Gras.

 Der Reichtum, der von hier aus nach Portugal floss hat sich jedoch nicht in den Kirchen festgesetzt; wo ansonsten in katholischen Kirchen barocker Prunk mit goldüberzogenen Putten, Altären, Kanzeln und Tabernakeln das Volk zu beeindrucken suchte, finden sich hier eher schlichte und harmonische Strukturen und Schmuckstücke. Die Heiligenfiguren sind eher unscheinbar, das Taufbecken zwar aus Marmor, doch schlicht in Form, darüber ein blauer Sternenhimmel. Der Altar steht vor   einem großen hohen Erker in dem in sieben sich nach oben verjüngenden Stufen stilisierte Büsche und Bäume  vor einem marmor-rosa  Hintergrund aufgebaut sind. Der Raum wird dadurch erweitert, hinter dem Altar ist lebendige Landschaft und nicht die erdrückende Pracht barocker allegorischer Gestalten aufgebaut.

Spuren der Wirtschaft des 19. Jahrhunderts sind in der Stadt noch zu finden; der Zuckerrohranbau und die nahen Kaffeeplantagen lösten den Goldexport ab, immer eines  nach dem anderen mit nur wenigen zeitlichen Überschneidungen. Der Zuckerrohranbau führte zur Schnapsbrennerei und noch heute ist die Stadt in ganz Brasilien für ihren Zuckerrohrschnaps bekannt, obwohl von   ursprünglich 150 Brennereien keine mehr in Betrieb ist und auch weit und breit kein Zuckerrohr mehr angebaut wird. Doch in der Stadt gibt es wohlsortierte Läden in denen man die unterschiedlichsten Zuckerrohrschnäpse erstehen kann, Probeschlucke inklusive.

Die Großeltern von Thomas Mann lebten hier und betrieben eine der Schnapsbrennereien,  ein Aspekt der, so glaube ich in den Buddenbrooks nicht erwähnt wird… Und deren Haus, eine aus dem 17 Jh. stammenden Facenda in Boa Vista, 300 Meter von unserem Ankerplatz verfällt derzeit. Die Thomas Mann Stiftung hat zwar Geld bereitgestellt, doch der derzeitige Besitzer will gar nichts dazu geben; nur kassieren und hinterher das Gebäude nach Gutdünken verwerten, da hat er wahrscheinlich zu hoch gepokert gegen eine Gesellschaft die doch dem hanseatischen Kaufmannsgeist mit verpflichtet ist.

Nach einer Ruhezeit von sechzig Jahren kam mit  dem Denkmalsschutz (1966) und dem Tourismus auch die Kunst nach Parati. Ateliers in denen einheimische, zugereiste und kurzfristige Gäste als Künstler arbeiten, ihre Werke ausstellen und verkaufen finden sich in fast jeder Straße. Kunsthandwerk vom Feinsten bis hin zum schrillen Kitsch wird ebenfalls hergestellt oder als Allerweltsware feilgeboten. Töpferei und Keramik sind ebenfalls ein Schwerpunkt.

Eine Ausstellung unter einem Zeltdach gibt einen Überblick über das Schaffen der hiesigen Künstler.

Die Ateliers sind offen für den Besucher, die Künstler gesprächsbereit, die Kauflust der Touristen ist in dieser Saison nur gering gewesen.

Für Jose Andreas, 59 Jahre alt, in der R. Comendador Jose Luis sind jedoch  das ungebundene Leben, seine Malerei ( Aquarelle) und die Musik( Kontrabass) viel wichtiger als der wirtschaftliche Erfolg, jedenfalls solange genug zu täglichen Leben hereinkommt. Nach dem Studium hat er lange im Management gearbeitet, dann alles verloren, sich der Kunst zugewandt und mit Malen und Musik angefangen. So schmerzhaft der Verlust auch gewesen sein mag, im Rückblick bedeutete er doch umso mehr die Befreiung von Ballast und die Eröffnung neuer Lebensmöglichkeiten. Für Jose Andreas ist das Leben im Fluss, er hat sein eigenes Atelier, doch er trägt sich mit dem Wunsch nur mit dem Rucksack und seiner Malerei eine Reise mit offenem Zeitrahmen und weltweiten Wegen zu unternehmen.

Seine Bilder spiegeln das Leben in Parati wieder, lebendig gestaltet.

Zur Nacht spielt er an einigen Abenden in der Woche im Restaurante Porto zusammen mit anderen Musikern Jazz und Bossa.

Jose Andreas schenkt uns noch ein Aquarell von  Booten an der Mole von  Parati und wir trennen uns in der Sicherheit ihn wieder zu sehen wenn wir das nächste Mal in Parati sein werden.